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Die Co-Geschäftsstellenleiterin des Stadtteilsekretariats Basel-West Angelina Koch im Gespräch mit Lukas Schmutz, August 2023.

Ansicht

Soziale Architektur baut auf Zuhören


Im Westfeld beginnt der Tag. Es wird Staub gesaugt im Foyer des Schiffs. So heisst der Wohnbau nun, zu dem das ehemalige Felix Platter-Spital umgebaut wurde. Angelina Koch steht im Vorraum des Quartierzentrums gleich nebenan und zeigt auf dem Anschlagbrett, was da so läuft: Ein Kurs in Achtsamkeit wird angeboten, Elternberatung, auch Yoga und allerlei mehr über die ganze Woche verstreut: «Da passiert nun schon einiges. Das ist wirklich toll», sagt die Co-Leiterin der Geschäftsstelle des Stadtteilsekretariats Basel West, «ich glaube, man ist sehr dankbar, dass es dieses Quartierzentrum hier nun gibt. Es ist das sechzehnte in der Stadt.» Koch hat die Entstehung dieses Quartierzentrums begleitet, auch mitgeprägt, geht nun vom Vorraum in den grossen Saal des Quartierzentrums hinein und zeigt da gleich dessen Besonderheit: Sie zieht eines der Mosaik-Glasfenster mit religiösen Motiven aus seiner Nische vor das Fenster vor und sagt im eingefärbten Licht, das nun in den Saal fällt: «Das war früher der Andachtsraum des Spitals. Daraus ist der Ort für Versammlungen, Feste, Musik und einfach ein Treffpunkt fürs Quartier geworden. Das Zentrum des neuen Quartierzentrums.» Das sei ein langer Weg gewesen, dass das hier möglich wurde, sagt sie und ergänzt: «Die Architektur des Raumes war und ist wichtig, doch entscheidender für das Zentrum ist etwas anderes, nämlich dass und wie es helfen kann, die soziale Architektur des Quartiers weiter zu entwickeln und zu stärken.»

Der lange Weg begann für Koch mit einem anderen Bauprojekt. Sie war ganz frisch zum Stadtteilsekretariat gekommen, als die Planung für den neuen Verkehrskreisel am Luzerner- und Wasgenring anlief. Also fast nebenan und darum soll es gleich dahin gehen: Aus dem Saal des Schiffs ins Leben des Iselin-Quartiers. Da lasse sich besser zeigen, was soziale Architektur ist. «Wir waren aufgerufen, eine Begleitgruppe zu dieser Planung zu organisieren», sagt Koch auf dem Weg hinaus aus dem Schiff auf die Hegenheimerstrasse. Also eine Partizipation der Anwohner und Organisationen an der Umsetzung des Bauvorhabens im Quartier. Darauf liess sich Koch nur allzu gerne ein, denn Partizipation, das ist in Sachen Stadtentwicklung ihr Schwerpunkt. Bereits in ihrer Masterarbeit untersuchte sie die Qualität von Partizipationsprozessen und forschte sowie arbeitete zuvor im Themenbereich politische Kultur. In Leipzig hatte sie nach ihrem Studium der Wirtschaftspsychologie ‚urban management‘ studiert. In Basel konnte sie das Projekt ‘Aufwertung Innenstadt’ wissenschaftlich begleiten. Und eben mit dem Thema, wie Partizipation dabei sinnvoll sei. Was sie schrieb überzeugte und bereitete den Weg in ihren Job im Stadtteilsekretariat. Und nun erklärt sie, wie aus der Masterarbeit hier im Iselin Quartierarbeit wurde: «Wir haben alle angeschrieben, die Jugendarbeit, die Thomaskirche, die Senioren und so weiter und haben zunächst mal einfach ganz gut zugehört.»

Geteiltes Quartier

Wir sind nun schon am Kreisel angekommen. Koch hört und sieht hier für eine kurze Weile dem Verkehr zu: Wie er auf den Kreisel zu und dann weiter rollt. Dann geht sie zügig in die Unterführung weiter, mit der unter dem Kreisel Raum für Velos und Fussgänger geschaffen wurde. Ganz unten wird es fast unvermittelt hell: Durch eine trichterartige Öffnung wird der Himmel und die ganze Bläue dieses Sommermorgens sichtbar. Da bleibt Koch kurz stehen und setzt ihre Sonnenbrille auf. «Der Künstler Michele Cordasco schuf dieses Kreisel-Kunstwerk, ’Licht-Einfall’ heisst es. Toll.» Das fand auch die TagesWoche damals und titelte: ‚So gut kann Kreiselkunst sein’. «Ein wirklich starkes Projekt», sagt Koch «und darum ist es seither auch zu einem markanten Ort des Quartiers geworden. Das hat direkt nichts mit dem zu tun, was wir machten, und passt trotzdem gut dazu und zeigt, wie gebaute Stadt auch einen Effekt auf das Sozial- und Alltagsverhalten hat. Der Verkehr wird anders geführt und schafft so neue Verbindungen und öffentliche Räume.» Auf dem Weg auf der anderen Seite hoch Richtung Thomaskirche folgt nahtlos, was Koch beim Zuhören im Quartier zu hören bekam: «Erstaunlich viel Frust. Nicht nur wegen dem Verkehr und dem Bauprojekt. Ganz allgemein. ‘Die Jungen grüßen gar nicht’ meckerte man und so. Und die Jugendarbeit sagte, es fehlten die Ressourcen. Es brauche soziale Unterstützung, ein bisschen Freizeitprogramm helfe nicht wirklich.» Und dann, nur fast nahtlos diesmal: «Ich red die ganze Zeit schon und alles miteinander wie ein Wasserfall…» Dass Koch sprachlich zügig unterwegs ist, das stimmt, doch Wasserfall?, flüssig eher, wie Kreiselverkehr vielleicht und was rüber kommt, ist eher Licht-Einfall als Wasserfall…

Koch hat den Weg Richtung Wasgenring-Schulhaus eingeschlagen. ‚Bachgraben-Promenade‘ steht auf dem Schild am Wegrand. Da gibt’s Schatten, also geht es ohne Sonnenbrille weiter: «Diese Promenade kennt man viel zu wenig in der Stadt: Ein ganz wunderbarer Aufenthaltsort und Grünraum ist das.» Ins Grün hinein sagt sie, wie sie das Gehörte analysiert und dabei bemerkt hat, wie schlecht das zu dem passte, was die statistischen Daten zum Iselin-Quartier nahezulegen schienen. «Durchmischtes Basler Durchschnittsquartier? Von wegen! Im Blick auf die einzelnen Teile des Quartiers und auf die feinen Unterschiede zwischen den Blöcken hat sich ein ganz anderes Quartier gezeigt: Ein geteiltes!» Auch mit einer Betonung kann man ein Ausrufezeichen setzen. Das tut sie hier, und deutscht dann aus, was das heisst: «Ganz der soziologischen Theorie entsprechend entstehen da, wo die Stadt ringförmig wie ausfranst und entlang der neuen Verkehrsachsen Verwerfungen, soziale und auch solche zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen.»

Neben dem Schulhaus Wasgenring bleibt Koch auf der Bachgraben-Promenade stehen. Ein perfekter Ort, um zu illustrieren, wie das Iselin-Quartier damals ausfranste: «Die Statistik ging von einem Migrationsanteil von 47 Prozent aus. Diese Schule hier fragte bei ihren Schülern simpel nach, ob sie zuhause Deutsch redeten oder nicht. Bei über 80 Prozent war das Kreuz auf dem Antworttalon im Nein-Kästchen.» Am richtigen, falschen Ort irgendwie, soviel verstanden sie. Und Koch und das Stadtteilsekretariat verstanden, dass da etwas schwelte. Man entschied, dass das nicht unter dem Deckel weiter schwelen sollte und wurde aktiv: Zum Beispiel mit einer Podiumsveranstaltung mit der Jugendarbeit des Quartiers unter dem Titel: ‘Auf dem Weg zum Ghetto 4055?’ Die Provokation sass. Die Reaktionen waren heftig. „Was soll’s?“, sagt Koch rückblickend, «denn seither ist viel passiert: Knapp zehn Jahre später steht das Jugendzentrum nicht mehr in diesem untauglichen Provisorium von damals, sondern es wurde bei der Badi Bachgraben ein angemessener Ort dafür gefunden und eingerichtet. Die Primarschule hat die Bildungslandschaft Wasgenring ins Leben gerufen, die den Schwerpunkt auf Deutsch und Stärkung der Familien im ausserschulischen Bereich setzt und ein Netzwerk für die Akteure im ausserschulischen Bildungsbereich ist. Überhaupt gibt es ein reiches Vereinsleben hier, die Thomaskirche, der Robi Spielplatz, den Neutralen Quartierverein und neu den Quartierverein Dynamo Iselin, der den Quartiertreffpunkt betreibt und viel, viel mehr.»

Quartierarbeit als Kommunalpolitik

Auf dem Weg dahin wirft Koch ein paar Schlaglichter darauf, wie das Leben im Quartier seither anfing, Kreise um den Kreisel zu ziehen. «Ein erstes Quartierfest 2013, das Bachgrabenfest, welches verschiedene Akteure, kurz das soziale und kulturelle Kapital des Quartiers zeigen sollte: Stände überall. Musik. Internationales essen. Kinder mit der Robi-Spiel-Aktion. Alle präsentierten sich. Das war ein voller Erfolg, da die Menschen, die so heterogen im Quartier sind, zusammenkamen, feierten und tanzten.» Daraus sei eine Bewegung und allerlei weiteren Aktivitäten entstanden. Dank der Künstlerin Isabelle Stoffel etwa ein partizipatives Theaterprojekt, welches das Stadtteilsekretariat in der 2. Saison mit einem politischen Talk unter der Moderation von Inez Matteo und Christoph Keller ergänzte. Eine Kunstprojekt, dass versucht den sozialen Raum hör- und fühlbar zu machen: «Audio-Walk durch die Gegend. Menschen mit Flüchtlingserfahrung haben aus ihrem Briefkästen heraus im O-Ton erzählt, was das eigentlich heisst, als Flüchtling hier unterwegs zu sein. Unglaublich eindrücklich.»

Persönlich wurde Koch durch die Talks und Walks ihrer Arbeit in Basel zunehmend heimischer, doch ihr Blick auf diese blieb «schon stark von dem Blick von aussen geprägt, den ich mitbrachte. Ich kam mit einer anderen Sozialisation. Zentral blieb für mich, dass der Fokus der Gesellschaft da auf der Gemeinschaft lag. Die Frage, wie man mit wenig auskommt oder wie man sich mit wenig Ressourcen organisiert, war für mich prägend – grundsätzlich ist es vielleicht so, dass ich das soziale Kapital einer Gesellschaft schon immer sehr spannend fand und hier auch eine sehr wertvoller Ressource für resiliente, also widerstandsfähige Stadtstrukturen sehe.» Und der Vater sei Bürgermeister gewesen, sowohl in Ost- wie in Westdeutschland und da habe sie mitbekommen, wie wichtig das sei, dass Behörden ihr Ohr total nah am Lebensumfeld der Menschen hätten. Und die Arbeit eines Stadtteilsekretariats ist dem ähnlich. «Diese Arbeit machen wir, weil diese kommunale Ebene der Politik in der Stadt halt auch irgendwie fehlt.»

Insgesamt jedenfalls, sagt Koch, sei im Iselin also reale Erfahrung dafür entstanden, «wie stark es auch in den periphereren Lagen der Stadt öffentliche Räume braucht, um sich zu begegnen.» Und eine zweite konkrete Erfahrung gehört dazu: «Jugend, allgemein die Menschen im flexiblen Zeitalter muss man abholen, es hilft nichts, wenn man die Jungen striezt und triezt», wie man da sagt, wo Koch ihr flüssiges Deutsch reden lernte, und das heisst so viel wie drangsalieren und drängen. Eben nicht, wiederholt Koch, sondern eben Abholen. Und ja, genau das passiere jetzt, im Jugendzentrum, vor dem wir nun angekommen sind. Koch geht subito zum Eingang, erzählt von den Angeboten, Öffnungszeiten und allerlei mehr rundum: «300 Quadratmeter Platz: Sensationell... - Der Hausmeister der Badi hat da drin gewohnt... - Super umgebaut, da passen auch mal 100 Leute rein... - und eben, man kann den Jungen, die wenig haben, wirklich nicht einfach sagen: ‘So, jetzt streng dich mal an, dann wirst du was‘, das funktioniert wirklich nicht, es braucht einen Anker, der sie hält sowie die Sozialarbeitenden von der JuAR. Es ist, mit Verlaub, das Märchen der sozialen – Mobilität das ist das jetzt… Huh, ich red wieder viel zu viel…»

Auf dem Weg zurück ins Westfeld erzählt Koch dann, wie das weiterging aus der Kreiselzeit bis das Quartierzentrum im ehemaligen Andachtsraum im Schiff aufgehen konnte. Sie skizziert zunächst den städtischen Hintergrund dazu: Das Ringen um genügend Wohnraum und angemessene Mieten habe damals angefangen, ins Zentrum der Basler Politik zu rücken. Konfrontativ und heftig. Zu Recht findet Koch: «Das ist hier - wie oft - ein entscheidendes Stück Politik, in dem extrem viel zusammenkommt.» Jedenfalls habe die Regierung im bis heute polarisierten Hin und Her auf diesem Politikfeld die Förderung von genossenschaftlichem Wohnraum gepusht. «Das Westfeld war in der Reihe dieser kooperativen Wohnbauprojekte das klar grösste und auch darum wirklich exemplarisch.» Ein paar Daten dazu: 35’000 Quadratmeter Fläche und über 500 Wohnungen, Gewerbe und Quartiernutzungen dazu. «Und man darf da nicht übersehen, dass damit eine Zunahme der Wohnbevölkerung im Iselin von etwa 10 Prozent gegen 18‘000 verbunden ist. Das ist enorm.»

Aufbau des Quartierzentrums

Das Stadtteilsekretariat war dank Kreisel-Erfahrung gut aufgestellt, um in vielen Fragen und Phasen der Westfeld-Entwicklung nah mitzuwirken. «Schon im Bebauungsplan etwa sind bis 20 Prozent Quartiernutzung vorgesehen. Das war für uns ein echt grosses Anliegen, genau aus den Erfahrungen hier.» Als dann die Wohnbaugenossenschaft ‚wohnen&mehr‘ speziell für dieses Grossprojekt gegründet worden war und die konkrete Planung begann, habe eine intensive Zusammenarbeit mit ihr eingesetzt. «Wir hatten gewisse Dinge wie vorgespurt, brachten Wissen mit, was es braucht in der Quartierarbeit, nämlich insbesondere eine Struktur dafür.» Wir sind schon fast wieder zurück am Kreisel. Da geht ihr Blick nun über den Kreisel hinaus aufs renovierte Schiff. «Ja, was heisst eigentlich Quartierarbeit? Dahinter steht enorm viel ehrenamtliche Arbeit, die meist von kleineren und grösseren Vereinen geleistet wird.» Und nun sei es das Ziel gewesen, mit diesen allen ein tatsächlich bedürfnisgerechtes Programm entstehen und schliesslich aufs Anschlagsbrett kommen zu lassen. Abgestimmt genau auf Iselin und eben nicht als copy & paste von einem der fünfzehn schon bestehenden Quartierzentren. «Bachletten ist anders. St. Johann ist auch anders. Hier ist Iselin.»

Neuerlich waren darum Gespräche und Abklärungen mit allen angesagt: Wie tickt das zivilgesellschaftliche Leben hier, in all seinen vielen Farben? Und dieser Frage ging man ganz konkret im Blick auf die Gründung einer Quartiergruppe nach, «die diese Vision in der Wirklichkeit auch tragen kann.» Dazu habe dann auch gehört sicherzustellen, dass der Leistungsauftrag des Kantons für Quartierzentren erfüllt werden kann, um für die Subventionen berechtigt zu sein, die für den Betrieb nötig sind. Diese Entwicklungen seien auch mit den Fragen der Hardware, also die Fragen zur Bebauung und zur Einrichtung des Areals verbunden gewesen. Auch da war Koch direkt beteiligt und sass beispielsweise in der Jury über die Projektvergabe des Umbaus des Spitals zum Schiff mit drin. «Der ehemalige Andachtsraum, der im denkmalgeschützten Bau da war, war irgendwie fast wie eine Praline. Konkret ist das aber auch Fluch und Segen zugleich, weil man das dann natürlich auch bewirtschaften muss.» Wie auch immer, sagt Koch «der Raum ist für das Quartierzentrum ganz klar ein wichtiges Stück der Identität geworden. Auch weil da schon vor und während des Umbaus viele vorbereitende Aktivitäten und Versammlungen stattfanden. Die Erinnerung daran, wenn man dahin zurück kommt, ist sicher auch ein Teil dieser Identität.»

Der Leim der Gesellschaft

Wir sind auch zurück im Schiff. Es ging diesmal ebenerdig am Kreisel vorbei und nun stehen wir wieder unterm Anschlagbrett des Quartierzentrums. «Seit Dezember ist mit Nicole Tschäppät eine professionelle Leiterin da.» Zu ihren Aufgaben, sagt Koch, gehöre weiter exakt das, was bei ihrer Arbeit hier am Anfang stand. «Rausgehen und zuhören. Hier rumsitzen und warten, dass die Leute reinspazieren, das funktioniert sicher nicht. Die Menschen abholen, so wie die Jugend am Bachgraben, das sei die Aufgabe auch hier. Gerade die Menschen mit weniger Ressourcen bewegten sich in kleineren Kreisen, sie abholen schaffe für sie erst die Möglichkeit, Teil des Quartierlebens hier zu werden.» Und nun wechselt Koch die Beobachtungsebene zum Schluss der Quartierreise dahin, wo für sie das Licht in den Kreisel ihrer Arbeit fällt. «Mit dieser Arbeit unterstützt man sozusagen den Leim der Gesellschaft. Und das wird, wie ich finde, immer wichtiger, weil die Gesellschaft immer fragmentierter wird und das Vertrauen in die Demokratie überall abnimmt.» Diese Fliehkräfte der Gesellschaft gebe es auch hier. Vielleicht nicht so krass wie in den Vorstädten der grossen Metropolen, aber dennoch, und so fragt sie: «Haben wir nicht alle ein Interesse, diese ein Stück zurückzubinden? Ich bin nicht Architektin, sondern Sozialwissenschaftlerin, das prägt meine Sicht auf die Städte und ich finde es wichtig, dass wir den Menschen zuhören, für die wir sie bauen.» Im Foyer des Schiffs ist eine Frau im Trainingsanzug unterwegs ins Fitness, der Pöstler bringt die Post und stösst ein Vater stösst seine Tochter auf ihrem Dreirad nach draussen in Richtung Brunnen und Zukunft des Quartiers.

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Interview

„Es braucht die Ernsthaftigkeit für die sozialen Fragestellungen“


Basel macht Dialogtage über Stadtentwicklung. Warum braucht es die?

Weil es über Stadt viele unterschiedliche Auffassungen über Entwicklung, Trends und Machtverhältnisse bzw. Handlungsmöglichkeiten gibt, dass man erst mal eine Art Auslegeordnung über die ganzen Meinungen, Interessen und Standpunkte aufzeigen muss, um überhaupt einen guten Dialog machen zu können.

Gibt es Programmpunkte, die Sie speziell interessieren?

Mit Baukultur Identitäten zu fördern, dass finde ich spannend. Also zu sagen, dass die Raumgestalt Einfluss darauf hat, wie ich mich als Mensch wahrnehme oder bewerte oder auch handle. Das finde ich als Fragestellung schon wichtig. Wichtig ist aber auch, die Bereitschaft anzuerkennen, dass in dieser gebauten Stadt eine große, heterogene Menge an Personen mit extrem unterschiedlichen Bedürfnissen lebt. Und für die Alleinerziehende, die im Einzelhandel für den Mindestlohn arbeitet und es nicht schafft, ihre drei Kinder adäquat, vielleicht mit Hausaufgaben zu versorgen usw., sind die Angebote der Quartierarbeit vielleicht die wichtigeren Stellschrauben. Das heisst eigentlich, was soll und kann Stadt in den gesellschaftlichen Fragestellungen leisten.

Welche Rolle spielen Sie und die Stadtteilsekretariate bei diesem Dialogtagen?

Also idealerweise sind wir so ein bisschen eine Brücke zum Quartier, das heisst zu den Laien. Es ist ja ein sehr hochschwelliges Thema. Und die Aufmachung ist ein bisschen formal und auch intellektuell. Ich glaube, man hat auch eine bestimmte Zielgruppe, die das besonders anspricht, die der Architektinnen und Planerinnen. Dort tauscht man sich aus und redet darüber, wie eine Stadt sein sollte und so. Wir möchten versuchen, von da eine Brücke zur normalen Bevölkerung zu schlagen, indem wir informieren und sagen: ‚Hey, schaut mal, ihr könnt euch da beteiligen, ihr könnt euch überall einbringen und was sagen zum Thema Stadtklima oder zum Thema Was wollt ihr für Nutzungen haben?‘ Ob das dann auch wirklich kommt, ist die andere Frage. Aber ihr könnt euch zumindest formulieren…

Also ist das ein Anlass für die Öffentlichkeit?

Schon, aber ich glaube, man muss sich auch verabschieden von so einer Idee, dass wir wirklich alle immer mitnehmen können, dass sich jetzt alle in irgendeinem einzelnen Format wiederfinden, das glaube ich nicht. Aber der Begriff Öffentlichkeit ist generell spannend: Wir schaffen gute öffentliche Räume. Aber die Aufgabe bzw. der Idealfall wäre, wenn sich diese Öffentlichkeit dann auch einstellt im Sinne einer sich austauschenden Stadtgesellschaft. Denn angesichts einer fragmentierten Gesellschaft ist es sehr schwierig, von einem Konstrukt wie Öffentlichkeit überhaupt zu sprechen.

Wie stellen Sie sich die Dialogtage vor: Was muss passieren, damit etwas Verwertbares rauskommt?

Ich hoffe natürlich, dass sie sehr gut besucht sind, divers besucht sind. Ich glaube das Wort Dialog ist ja der Anfang zu etwas. Ich glaube, man sollte auch nicht zu viel erwarten. Sicher braucht es die Ernsthaftigkeit für die sozialen Fragestellungen. Wenn man das ignoriert und nicht über Armut, über Vereinzelung oder Radikalisierung sprechen will, weil es unangenehm ist, vertut man eine Chance und man wird wahrscheinlich auch viel Kritik ernten. Wenn ich das sagen darf, den Handlungsbedarf, den eine sozial gespaltene Gesellschaft mit sich bringt, darf man nicht unterschätzen. Zum Beispiel: Das Finden einer Wohnung ist für viele ein Problem, welchen Wohnraum schaffen wir? Für wen und generell wie sollte man mit einem knappen Gut, dem Boden, umgehen? Was passiert mit einer Stadtgesellschaft, die aufgrund exogenen Zuzugs wächst? Und in der Ressourcen knapp sind und gerecht verteilt werden bzw. einen Zugang zu diesen gewährt werden sollte.

Haben Sie eine persönliche Erwartung?

Dass es weitergeht, dass es wirklich ein Auftakt ist. Es gibt und gab ja schon Dialogformate wie die Werkstatt Basel, dann auch das Klybeckplus, das ist das aktuellste. Da wird versucht, die Stadtbevölkerung mitzunehmen, auch mit entsprechenden Herausforderungen, wie man mit der Initiative ‘Basel baut Zukunft’ sieht. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man gemerkt hat, dass es soziale Themen gibt, die sich in dieser Initiative widerspiegeln.

Was erwarten Sie von Verwaltung und Regierung im Umgang mit den Ergebnissen?

Mein Wunsch grundsätzlich ist, dass mehr sozialwissenschaftliche Themen betrachtet werden. Der Begriff der Identität zum Beispiel: es ist zentral, wie ein solches Konstrukt definiert wird, um eine Antwort zu finden oder zumindest die richtigen Fragen zu stellen in diesem Dialog. Im 21. Jahrhundert ist Identität vermutlich schwerer zu fassen und vielleicht auch besser im Plural, Identitäten. Ohne Zweifel ist das Stadtbild, also die Hardware zentral, aber wem dient sie? Fragt sie: was brauchen wir gerade bei den großen Sachen wirklich und  entwickelt dafür ein Programm? Welches Normativ sucht es und welches Narrativ, welche Geschichte, wollen wir erzählen? Vielleicht nicht: Wie wollen wir wohnen?, sondern wie müssen wir wohnen?, angesichts der klimatischen und ökonomischen Veränderungen. Ich habe manchmal das Gefühl, man will diese Fragen nicht bzw. nicht ernsthaft genug stellen, weil sie weh tun. Zum Beispiel sagt man, Eigentum ist Eigentum und entzieht sich somit einer möglichen Regulierungs- oder Verteilfrage, die einen zentralen demokratischen Wert sucht, nämlich Gerechtigkeit und Zugang zum gesellschaftlichen Leben.

Im Programm ist viel von Baukultur die Rede. Sie haben den Begriff schon angesprochen. Aber nochmals: Können Sie in einem Satz sagen, was das für Sie heisst?

Das kann man natürlich weit aufspannen. Ich bin noch aufgewachsen mit den Bildern der Dresdner Frauenkirche als Ruine. Und das hatte natürlich auch einen großen baukulturellen Effekt, einen anderen, mahnender Art, obwohl es ja kein Bau in dem Sinne mehr war und was ist der Effekt jetzt? Neu, unbeschädigt ein TouristInnenmagnet und die historischen Ereignisse, die das Denkmal erzählte, sind verschwunden. Das kann man positiv sehen – es ist sicher aber eine andere Perzeption als die, die ich noch kannte. Baukultur ist grundsätzlich ja auch der Versuch, Geschichte und Gegenwart, auch Zukunft der gebauten Stadt zu verbinden. Für mich ist der funktionale Aspekt entscheidend, dass man Baukultur von den Bedürfnissen der Menschen her plant und nicht nur aus einer ästhetischen Idee.

Im Programm taucht auch der Begriff Wunsch-Stadt auf. Können sie etwas damit anfangen?

Was uns als Stadt und Gesellschaft vielleicht fehlt, ist die Dialogbereitschaft aufzubringen, auch zuzuhören und es zuzulassen, wenn die Leute irgendwas nicht gut finden. Dann muss man das auch einfach mal akzeptieren. Und dann glaube ich, ist es heute weniger die Frage, was wir wünschen, als die, was wir brauchen, um als Gesellschaft gut durch die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu kommen. Das wäre mir lieber als zu sagen ‘Wunsch-Stadt’, weil es suggeriert, wir könnten noch träumen, auch wenn das jetzt kulturpessimistisch klingen mag. Wir müssen handeln und tatsächlich Utopien entwerfen, in denen es allgemein um die Frage des guten Lebens geht, in der Worte, wie genussvoller Verzicht, Gemeinschaft und Resilienz zentral sind.