Mit

Ariane Widmer Pham, Urbaniste cantonale Genève, im Gespräch mit Lukas Schmutz, August 2023.

Ansicht

Genfer Labor für Schweizer Stadtplanung


Die Place des Nations ist das Herz des Internationalen Genf. Ein Verkehrsknotenpunkt und rundum stehen die Bauten aus dem Jahrhundert seit der Völkerbund hier angesiedelt wurde. Der kolossale, neoklassizistische Palais des Nations war der erste. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen allerlei Hochhäuser dazu. Heute plätschert ein Wasserspiel auf dem Platz und der Riesenstuhl mit abgerissenem Bein erinnert - als Bild für die Opfer von Landminen - daran, dass es hier um Krieg und Frieden geht. Nichts weniger. Direkt nebenan liegt der Park Rigot. Da steht seit einer Weile eine hübsche Sitzbank. Gebaut als elegantes, konkaves Gegenüber eines alten Baums. Da hat sich die Genfer Stadtplanerin Ariane Widmer Pham hingesetzt, um davon zu erzählen, was sie so macht, damit in Genf ein neues Kapitel der Stadtentwicklung aufgeschlagen werden kann. «Null», sagt sie, «heisst das Kapitel, Netto Null, genau genommen, an diesem ökologischen Ziel orientieren wir uns. Konsequent.» Und die Sitzbank und das Allerlei, das im Parc Rigot noch dazugehört, ist ganz wichtig auf dem Weg dahin…

Doch der Reihe nach: Seit 2019 ist Widmer Pham als Genfer Stadtplanerin im Amt. Ihr Auftrag war, die Überarbeitung des aktuellen kantonalen Richtplans anzugehen. Doch eben nicht als klassische Revision, «sondern mit einem vorgängigen Leitbildprozess, wo man sich wirklich grundsätzlich Gedanken über die zukünftige Entwicklung macht, und dass man diese und ihre Umsetzbarkeit dann mit einem Testplanungsverfahren über den Metropolitanraum von Genf überprüft.» Dafür brachte Widmer Pham einen perfekten Leistungsausweis mit. Sie hatte die raumplanerische Neuordnung der Westgemeinden von Lausanne geleitet. Die Arbeit wurde mit dem Wakker-Preis des Heimatschutzes für besondere Leistungen in der Siedlungsentwicklung ausgezeichnet. Und dann hatte sie mit Brigit Wehrli-Schindler die Untersuchung ‘Megatrends und Raumentwicklung Schweiz’ verfasst, die der Bundesrat dem Rat für Raumordnung in Auftrag gegeben hatte. «Ich war also in diesem prospektiven, raumplanerischen Denken mitten drin und genau das wollte der grüne Departementschef Antonio Hodgers ausdrücklich…»

Auflagen quer durch die Verwaltung

Mit diesen grundsätzlichen Perspektiven begann sie dann, die Genfer Player in die Leitbildarbeit einzubauen und einzubinden. Die Ebenen von Quartier, Gemeinde, Stadt, Kanton und Umland. Mit den verschiedenen Verwaltungsbereichen von Umwelt, Verkehr, Denkmalpflege und so weiter wurden in ihren jeweiligen Zuständigkeits-Bereichen Auflagen auf der Linie von eben ‘Null’ ausgearbeitet. «Das war spannend und anspruchsvoll. Und Covid half nicht, sondern verbannte viele der tausend nötigen Konversationen auf Zoom.» Dennoch sagt sie zwei Jahre später: «Wir sind gut unterwegs» und zieht aus dem grossen Stapel möglicher Belege diesen: «Das Mobilitätsamt ist voll dabei. Es schreibt sich auch Netto Null auf die Fahnen und wir reden dann im Leitbild konkret von einer Reduktion des Individualverkehrs gemäss Klimaplan von 80 Prozent bis 2050.» Und übrigens seien auch die waadtländischen und französischen Partner mit dabei...

Der Genfer Weg begann für Widmer Pham eigentlich schon lange vor Genf. Sie ist Walliserin und hat in Lausanne an der EPFL studiert. Luigi Snozzi war ihr Lehrer. Er war für sie, wie für viele heutige Architekt:innen ein Leuchtturm. «Von ihm habe ich Haltung gelernt.» Was das heisst, erklärt sie so: «Ein Haus als Haus, auch ein schönes, bleibt ungenügend, wenn nicht…», sie sucht eine Sekunde nach dem richtigen Begriff und findet ihn als Bilingue im Französischen, «wenn nicht die im-plan-ta-tion stimmt.» So rund wie sie das Einpflanzende betont, das dem französischen Begriff innewohnt, ist klar, was gemeint ist. Das sorgfältige Umgehen mit und der sinnvolle Bezug zum gewachsenen Territorium also, zu seiner Natur, zu seiner Bebauung muss der Ausgangspunkt des architektonischen Denkens sein. «Bevor die implantation» - nochmals schmückt die französische Lautmalerei den deutschen Satz – «nicht überzeugend geklärt war, gab es bei Snozzi kein Entwerfen. Da hielt er uns zurück. Stur. Das hat mich geprägt.» Doch da, auf dem Bänklein im Park Rigot, liegt für sie der Hinweis auf einen zweiten Lehrer besonders nah. Herman Hertzberger. Der Holländer war wie Snozzi Architekt und Professor zugleich. Bei ihm hat Widmer Pham ihr Praktikum gemacht. Und da habe sie gelernt, «wie sorgfältig Architektur bis ins Kleine, Einzelne auf ihre Nutzer eingehen kann und soll. Und darum hat Herzberger auch viel Wert darauf gelegt, dass die Bewohner und Benutzer sich Architektur wirklich aneignen können.» Die Urbanistin zeigt mit einer kleinen Geste auf die Sitzbank und den Baum: «Das ist Hertzberger und diese große Spanne, die aufgeht, wenn man von Herzberger zu Snozzi geht, interessiert mich. Man kann das Kleine nicht gut machen, wenn man das Große nicht gut macht. Und vom Verstehen im Grossen muss man immer wieder zurück zum Kleinen gehen.»

Begegnungsorte im Quartier

Darum gehören zu der Vision im Grossen, die nun ‘Vision territoriale transfrontalière 2050 heisst’ die Tests und Explorationen im Kleinen, die Suche nach den Bedürfnissen der Menschen am Ort. Und so entstanden die temporären Installationen zum Beispiel in der Umgebung und genau hier im Parc Rigot. Widmer Pham zeigt beispielhaft die simple Latten-Konstruktion hinter ihr, in der dekorative, schwarzweisse Planen wehen. «Ein Eingang, wo es lange keinen gab, weil ein Zaun da stand und nun werden die Leute fast theatralisch eingeladen und eingelassen in den Park.» Sie steht auf und führt zu einer zweiten Installation in den Park hinein. Ein kleine zweistufige, runde Holzkonstruktion. An Latten darüber befestigt bewegt sich ein Schattendach aus Planen im feinen Wind des Nachmittags. Wie ein kleines Quartier-Amphitheater steht die Installation im Park. Widmer Pham steigt auf die untere Stufe hoch und erzählt, wie das hier zustande kam. Es galt, einen veralteten Quartierplan zeitgemäss zu erneuern. Um vernünftige Lösungen dafür zu testen, wurde für den ‘Jardin des Nations’ ein Auftrag an die Architecture Land Initiative (ALIN) vergeben, zu der auch Dieter Dietz von der ETH in Lausanne gehört. «Er führt da ein innovatives Laboratorium. Es geht ihm nicht nur um Raumentwicklung, sondern auch um Raumkuratierung. Diesem Ansatz entsprechend kam es hier zu einem sehr breiten Partizipativ-Verfahren. Dabei ist mit den An- und Einwohnern auf langen Spaziergängen zunächst geredet worden, nachgefragt, was das Quartier hier braucht. Aus Sicht der Menschen im Quartier.» Alle hätten mitgemacht. Die Leute der Schweizer UNO-Vertretung, die ausländischen Diplomaten, die sonst mit Chauffeur zu ihren Meetings am Uno-Sitz gebracht werden und die Anwohner sonst. «Als Kernanliegen nach zahllosen von Spaziergängen zeigte sich dies: Es braucht Begegnungen im Quartier, die sind ein echtes Bedürfnis, aber es fehlen die Orte, wo sie stattfinden können.»

Voilà. Darum wurden die temporären Installationen der EPFL-Studenten gebaut. Das kleine Amphitheater, der Eingang zum Park und allerlei weitere im Quartier. Widmer Pham zeigt die nebenliegende Baumschule im Parc Rigot und die Anbaufläche für Blumen und Gemüse auf der andern Seite. «Da sind auch Zusammenarbeiten entstanden, hier zum Beispiel mit dem Amt für Natur.» Durchaus typisch für das Querschnittdenken, das die Stadtplanerin sucht, und dem Querschnittshandeln, das daraus folgt. «Nun läuft der Test, wie es da läuft.» Und es laufe bisher bemerkenswert gut, sagt sie.: «Man könnte diese Interventionen ‚Mesures d’urgence‘ nennen. Eigentlich geht es um Maßnahmen, die man sehr einfach und mit sehr wenig Geld machen kann. Sensibilisierung, leichte Bauten, ein bisschen Farbe auf eine Fahrbahn und dann ist die Velostraße da.» Und natürlich schwinge im Begriff ‚mesures d’urgence‘ auch auf die Dringlichkeit mit, die der Klimawandel der Raum- und Stadtplanung vorgibt.

Wir sind weitergegangen, haben die Place des Nations überquert, wo Kurden unterm grossen Stuhl gegen den türkischen Präsidenten Erdogan demonstrieren. Zu den neuen Treffpunkten im Quartier sagt sie, der Besuch sei rege, die leisen Wege zu ihnen würden genutzt. Wir sind beim Kiosque des Nations auf der anderen Platzseite angekommen. Ein Tramhäuschen vom Feinsten, oder ein ‘Bijou’ wie man hier sagt, Baujahr 1949, und nebenan sind auch hier ein paar Beton-Kuben und Holz-Bänke unter den Bäumen installiert worden. «Um dieses Experiment weiterzuführen werden wir eine Gruppe von Leuten suchen, die wir ‘les Jardiniers’ nennen, die Gärtner. Sie werden die Aufgabe haben, den Ort weiter zu bespielen, zu beleben und zur Stadt hin zu öffnen.» Ansäen und Aufziehen von Quartierlebendigkeit also. «Warum nicht eine Buvette hier, dann und wann eine Veranstaltung, vielleicht ein kulturelles Event?» Die Frage ist Programm.

Die Expo.02 als bleibende Inspiration

Bei der Erklärung des fast spielerischen Testens liegt die Erinnerung an ihre Arbeit bei der Expo.02 irgendwie fast auf der Hand. Sie war damals für das Design der vier Arteplagen zuständig, also für die öffentlichen Räume zwischen den einzelnen Ausstellungspavillons. Unter den Bäumen beim Kiosk erzählt sie, wie sie diese besondere Arbeit prägte. Bis heute. «Ich bekam dort ein tiefes Verständnis davon, dass Projekte Zyklen haben. Man entwirft, man schreibt aus, man realisiert, man betreibt und baut dann wenn nötig wieder ab: In vier Jahren haben wir komprimiert eine Zeitspanne von vielleicht 30 oder sogar 50 Jahren erlebt.» Gleichzeitig habe sie - manchmal fast dramatisch - erfahren, dass es funktionierende Kollektive brauche, damit grosse Projekte zustande kommen: «Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen für ein gemeinsames Ziel zusammenzubringen, das war bei der Expo eine unabdingbare Notwendigkeit. Und ich glaube, das gilt allgemein für Grossprojekte.» Auch das Temporäre bei der Expo sei eine wichtige Erfahrung gewesen. «Man kann mehr wagen im Temporären und wird darum innovativer, mutiger.» Und dann etwas ganz Grundsätzliches: «Für mich war die Expo das erste Mal, dass das Land ihre städtische Schweiz liebgehabt hat. Also die Erfahrung der Dichte und der Intensität, die man in diesen inspirierenden Räumen bei der Expo erlebt hat, hatte eine positive Resonanz im ganzen Land.»

Von da nun ein Blick auf die gebaute Tradition an der Place des Nations hier, die Strassen und die Bauten im Internationalen Genf. Die Stadtplanerin sagt: «Die Gebäude sind monofunktionale Solitäre, auch die Strassen sind monofunktional. Auf diesem Hintergrund versteht man noch besser, dass wir mit unserem Ansatz nicht einfach Grün gegen Asphalt durchsetzen wollen, sondern warum die Begegnungsorte für die Veränderung so wichtig sind.“ Analoge Konstellation wie diese gebe es an vielen Orten. Doch Genf sei eine Stadtlandschaft, die für das Gelingen des Projektes ’Null’ gute Voraussetzungen habe: «Seit das protestantische Genf sich hinter ihre Stadtmauern verzogen hat, hat es zu wenig Umland, und man muss sich mit dem Nachbarn irgendwie einigen. Und zu Genf gehört, seit die Schweizer Grenzen festgelegt sind, das Bewusstsein, dass man sehr, sehr sorgfältig mit dem zu engem Raum umgehen muss, und dass man sich da nicht einfach in die Landschaft reinsiedeln kann.»  Dieser räumliche und historische Hintergrund, so Widmer Pham, begünstigte den aktuellen Effort, Genf zu einer Art Labor für Raumentwicklung in der Schweiz zu entwickeln.

Wir gehen von der Place des Nations auf dem Trottoir der Avenue de la Paix Richtung Sitz des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK). «Ja, das ist eine brandneue, breite Strasse.» Sie sei Teil der seit Jahren geplanten, teils untertunnelten Verbindung des Quartiers der Internationalen Organisationen mit der Autobahn beim Flughafen mit dem Namen ‘Route des Nations’ erklärt Widmer Pham und sagt dann: «Aus einer Netto-Null-Perspektive ist diese Route des Nations ein Fehler», und natürlich sei das frustrierend, dass Projekte aus früheren Planungsphasen wie aus der Zeit gefallen in der Realität ihres Neuanfangs ankommen, wie eben hier. Aber zugleich verweise diese Strasse auch auf einen weiteren Schlüsselaspekt ihrer Arbeit heute. «Soll die Raumplanung ihren Beitrag zum Erreichen von Netto-Null leisten, dann muss sie auch bestehende Planungen auf ihre Zweckmässigkeit hinterfragen dürfen. Das tun wir sowohl bei geplanten Infrastrukturen als auch bei Einzonungen. Der Kulturwandel ist im Gang.»

Kulturwandel: Nüchternheit und sorgsamer Umgang mit Resssourcen

Dieser angelaufene Kulturwandel zeige sich auch an anderen Stellen der Stadtplanung sehr deutlich. In Genfs grösstem, innerstätischen Transformationsareal Praille Acacias Vernier (PAV), sei die Planung vor 10 Jahren noch von Tabula rasa ausgegangen, also von grossflächigem Abriss und Neubau. Heute sei der Umbau eines Industrie- und Gewerbegebiets auf diese Weise nicht nur undenkbar, sondern «die Kultur der Tabula scripta,» - also des Weiterbauens mit dem Bestand – «ist so weit entwickelt, dass sich eine eigentliche Szene von Büros etabliert hat, die sich mit grossem Elan Kompetenzen in diesem Bereich aneignen.» Zudem sei auch der Diskurs mit dem Ämtern und den Besitzern über Weiterbauen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Das sei ungeheuer spannend zu beobachten, wie sich das Entstehende mit dem Bestehenden mische. Und dann schlägt sie den Bogen zurück zum Einfluss ihres Lehrers Luigi Snozzi: «Das ist im Konkreten der Stadtentwicklung das, was ich vorhin Haltung nannte. Diese Nüchternheit, diese Reduktion der Mittel im sorgsamen Umgang mit den bestehenden Ressourcen, mit der Tabula scripta. Das ist der Kulturwandel. Das ist neu.»

So, nun sind wir da, beim IKRK. Auch am Sitz der ältesten Institution des Internationalen Genf, stehen die feinen Installationen der Dietz-Studenten. Als Schattenspender. Und Sitzgelegenheiten. Auch ein Wassertank gehört dazu. Auf seinem Lattenturm sammelt er über eine Rinne Regenwasser, und steht damit auch als Hinweis auf Sorgfalt im Umgang mit Ressourcen im Park des IKRK. Und wie nebenbei dient die Installation auch als Plakatwand für die aktuelle Ausstellung im IKRK-Museum. ‘Histoires Inachevées’, unvollendete Geschichten heisst sie. Der kosovarische Maler Petrit Halilaj zeigt darin, wie er mit den Kriegstraumas umgeht, die ihn seit seiner Kindheit im Balkankrieg verfolgen und er kehrt dafür künstlerisch in die Welt der Kinderzeichnungen zurück. «Ich finde es bemerkenswert, wie der Titel der Ausstellung auch zu unserem Projekt passt: Histoires inachevées…», sagt Widmer Pham, «Das passt präzise zur Entwicklung, die wir suchen. Man hätte einfach sagen können, dem Sitz der grossem Genfer Institution und ihres Museums fehlten ein paar Bänggli. Doch das IKRK hat verstanden, um was es geht, und entwickelt hier Schritt für Schritt einen Dialograum mit der Nachbarschaft». Für Widmer Pham ist das hier aber noch etwas mehr. Sie sitzt schon eine Weile an einem beschatteten Tisch in der Anlage. «Klar, der Jardin des Nations gehört zur Stadt. Er ist Teil dieser wunderbaren Landschaft am See. Aber ich finde unglaublich schön, dass er symbolisch auch für den Maßstab der ganzen Welt steht. Denn in diesem Garten findet über die internationalen Organisationen die ganze Welt zusammen. Es ist in ganz spezieller Garten. Auch darum...» Implantation also mit dem Klima im Kopf und der ganzen Welt im Blick...

Mehr…

Interview

«Entscheidend für Baukultur ist, ob sie eine Geschichte weitererzählt»


Die Basler Verwaltung führt Dialogtage über Stadtentwicklung mit einer zeitlichen Perspektive 2050 durch. Was halten Sie als Genfer Stadtplanerin von einem derartigen Anlass?

Niemand kann die Zukunft voraussehen. Aber, dass man sich damit beschäftigt und mit breiten Kreisen bespricht, ist sehr wichtig. Wir müssen uns in die mögliche Zukunft hinein projizieren und uns fragen, was auf uns zukommt. Ich glaube, dass kann man am allerbesten in einem Dialog machen.

Sie treten da ja als Impulsgeberin von außen auf. Welchen Impuls für die Basler Zukunftsdiskussion möchten Sie geben?

Ich möchte den Impuls geben, dass die Stadt zum Erreichen der ökologischen Wende eine ganz wichtige Rolle zu spielen hat. Und dass sich damit neue spannende Perspektiven öffnen.Diese ökologische Wende wird uns aus einer 100-jährigen Situation herausholen, die geprägt war vom Denken der Stadt als funktionalistische Stadt. Dieses Denken ist vorbei. Wir stehen an einem Wendepunkt, der durchaus vergleichbar ist mit dem von der Charta von Athen gewollten Übergang  in die Moderne.

Ergänzt Ihr Auftritt an den Dialogtagen einen regelmässigen Austausch unter Schweizer Städteplanern. Oder ist das eher eine Ausnahme?

Es gibt natürlich die Strukturen der überkantonalen Raumplanung. Da kennt man sich. In die Dialogtage bin ich jedoch durch einen Impuls gekommen, der tiefer geht, und der von Angelus Eisinger ausging. Für den Zürcher Planungsverband RZU macht er eine Raumstrategie 2050. Um das breiter abzustützen, hat er einen regelmässigen Erfahrungsaustausch mit Basel, Bern und Genf organisiert. Das tun wir jetzt seit über zwei Jahren. Über diesen Link habe ich auch den Basler Kantonsbaumeister Beat Aeberhard besser kennengelernt. Und ich denke, Beat und ich teilen eine sehr ähnliche Realität. Beide arbeiten wir auch in städtischen Räumen, die direkt in internationalen Räumen stehen. Und wir sind beide Architekten und nicht Raumplaner von Haus aus. Ich denke, wir glauben beide an die Wichtigkeit des Entwurfs im Zugang zu räumlichen Fragen, auch im Bereich der Raumplanung.

Können Sie die «ähnliche Realität» in Bezug auf die städtebauliche Herausforderung noch etwas vertiefen?

Jede Stadtgeschichte ist sehr eigen und sehr unterschiedlich. In Genf ist die Geschichte des Raums sehr stark durch die Grenzen bestimmt, die sich seit Jahrhunderten bewegen. Das ist zum Beispiel in Lausanne ganz anders. In Basel ist das ähnlicher, obwohl vieles verschieden bleibt. Deshalb sind die Fragestellungen auch ähnlicher. Eine gemeinsame Herausforderung ist die des internationalen Metropolitanraumes. Diese Spezifität müssen wir meiner Meinung nach vertiefen. Denn ich bin überzeugt, dass der Maßstab des Metropolitanraums ganz wesentlich ist, um die Konsequenzen aus der ökologischen Wende für die Stadtplanung konkret ziehen zu können.

‘Baukultur’ ist zu einem zentralen Begriff der Raumplanung geworden, und im Programm der Dialogtage ist er auch wesentlich. Was heisst Baukultur für Sie?

Baukultur betrifft den Bau und die Art, wie der Bau sich in einen bestehenden Kontext einbettet. Ob er das gut macht oder nicht, hängt zunächst davon ab, ob er eine Geschichte weitererzählt oder ob er sie unterbricht. Und ganz wichtig ist zweitens, ob der Bau die Fähigkeit hat, dem Kollektiv etwas zurückzugeben. Denn ein Bau gehört einer Person und dennoch verändert er die Landschaft oder den Ort, der allen gehört. Deshalb darf er nicht für sich allein gedacht werden.

Ein weiterer Begriff im Programm der Dialogtage heisst Wunsch-Stadt? Können Sie damit etwas anfangen:

Ja, klar, auf jeden Fall: Ich habe gesagt, mit der ökologischen Stadt schlagen wir eine Seite um in der Art, Stadt zu denken, und wir öffnen eine neue Seite. Das heisst, wir können auf einem weissen Blatt wieder anfangen, uns so viele schöne Sachen zu denken und zu wünschen und sie zu ersinnen. Testplanungen und auch Studentenarbeiten liefern beispielsweise Pläne, Modelle und Skizzen. Über sie kann ich schon hineinwandern in die Stadt, in der ich leben will. Das kann man durchaus auch Wunsch-Stadt nennen. 

Sind von daher auch die Installationen, die wir angeschaut haben, wie Eingänge in ihre Wunsch-Stadt?

Ganz sicher. Es gibt da ja ganz unterschiedliche Orte. Leise und laute, die intensiv und belebt sind. Wir sind nicht alle gleich. Und die Stadt kann diese Diversität anbieten. Sehr wichtig ist, dass sie in den Wohnquartieren, dort wo die Menschen ihre Wurzeln haben, ein liebevolles Umfeld bietet. Das ist identitätsstiftend und entscheidend für die Lebensqualität. Das ist – so könnte man sagen – das Herz der Wunsch-Stadt.