Mit

Thomas Waltert, Kantonsplaner Kanton Basel-Landschaft, im Gespräch mit Lukas Schmutz, August 2023.

Ansicht

Unterwegs zur funktionalen Stadt


Die Badi Bachgraben. Noch sind nur wenige Badegäste da, an diesem kühlen Morgen. Am Eisentisch beim Eingang sitzt Thom Waltert. Der Kantonsplaner von Baselland erzählt, was es mit der Badi auf sich hat: «Das Bachgraben ist das grösste Freibad der Schweiz und das Besondere ist, dass das Gelände in zwei Kantonen liegt. Wir sitzen in Basel-Stadt und da vorne hinter dem Garderobentrakt beginnt Allschwil, der Kanton Basel-Landschaft.» Waltert nimmt einen Schluck Kaffee und sagt dann: «Wenn wir in der Stadtentwicklung der nächsten 30 Jahre weiterkommen wollen, müssen wir es machen wie bei der Badi. Wir müssen Grenzen überwinden.» Einfach sei das nicht, fügt er nach einer Pause bei, aber dies und das anders anzudenken, lohne sich. Ein Spaziergang durchs Bachgraben, also nicht durch die Badi, sondern durch das ganze Areal hier, zeige das.

Bis der Kaffee ausgetrunken ist, reicht es noch für eine Vorbemerkung: Nochmals Stadt und Landschaft, aber anders: «Das Bachgraben-Areal ist zugleich Stadt- und Landschaftsraum», sagt er. «Wie in vielen städtischen Verdichtungsräumen stossen hier Landschaftsräume wie Finger in den städtischen Raum vor. ‚Grüne Finger‘ nennt man die.» Während er nun ausführt, wie wichtig diese seien als Freiräume, als Naherholungsgebiete, auch als Kohlenstoffsenker und artenvielfältige Naturräume, legt er seine linke Hand mit ausgespreizten Fingern in sicherem Abstand neben den Kaffeebecher und zeigt mit einer langsamen Geste der Rechten, wie die grünen Finger in die Stadt hineinwachsen. «Nie war es wichtiger als heute, beide Teile von städtischen Räumen zusammen zu denken.» Damit liegt ein Herzstück von Walterts raumplanerischem Denken im Wortsinn auf dem Tisch.

Der Rundgang beginnt im grünen Finger. Hinter der Badi geht’s auf die Bachgraben-Promenade und darauf dem Dorfbach und Walterts Biographie als Raumplaner entlang. Er erzählt, dass er zwanzig Jahre im Amt für Städtebau und Architektur in Basel-Stadt tätig war. Bis 2020 der Ruf nach Liestal kam. «Der Wechsel hat zu einer veränderten Sicht auf den Stadtraum geführt.» In der Stadt war Waltert zuständig für die Entwicklung im Norden von Basel, begleitete und prägte Projekte wie die Nordtangente, ProVolta, Novartis Campus, Lysbüchel, Klybeck, Hafen- und Stadtentwicklung und die landesgrenzenüberschreitende 3Land-Planung. Vor diesem Hintergrund sagt er nun: «In der Stadt war und ist die Planung stark auf die städtischen Transformationsareale fokussiert.» Das sei auch für ihn irgendwie selbstverständlich gewesen. Doch nun habe sich die Perspektive verschoben: «Alle städtischen Transformationsgebiete zusammen vom Klybeck über Lysbüchel bis Dreispitz usw. umfassen eine Fläche von rund 100 Hektaren», sagt er und dann mit deutlichem Crescendo, «doch im unmittelbaren Gürtel um sie herum liegen auf landschaftlichem Kantonsgebiet 500 bis 600 Hektaren weitere Transformationsareale. Potentiale für die nächsten 2-3 Generationen, die uns ermöglichen – sofern zusammen gedacht und geplant wird – Planungen anders anzugehen.»

Bachgraben: Ein Beispiel unter vielen

Zwischen den Bäumen taucht immer wieder die Silhouette der Gebäude am Hegenheimermattweg auf, die da zu einem modernen Life-Science-Zentrum zusammenwachsen: «Dieses Areal im Bachgraben gehört dazu. Doch nicht allein. Es ist ein Entwicklungsgebiet von vielen.» Er zählt auf: Ziegeleiareal, auch in Allschwil, Dreispitz, Hafen Birsfelden, Arlesheim-Münchenstein mit Uptown, rund um den Bahnhof von Muttenz mit der Fachhochschule. Schliesslich Pratteln, was ja fast ein eigener Transformations-Kosmos sei. «Dies alles gehört für mich gemeinsam mit dem traditionellen Stadtgebiet zur funktionalen Stadt.» So wie er ‚funktionale Stadt‘ betont, wäre das in einem geschriebenem Text doppelt unterstrichen. Denn das ist die für ihn relevante Grösse der Raumplanung: «Die funktionale Stadt ist – nach meiner Definition – das, was innerhalb von 15 Minuten zu Fuß, mit dem Velo und mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar ist.» Dazu gehört auch der Zukunftsraum Dornach-Aesch-Reinach, in 9 Minuten mit der S-Bahn erreichbar, Birsfelden sowieso, Schänzli-Hagnau-St.Jakob ebenfalls, kurz drei Viertel der «Birsstadt» sind Teil der funktionalen Stadt Basel. Gedanklich weglassen tue ich die «Hauptstadtregion Liestal», welche – zusammen mit Füllinsdorf, Frenkendorf und Lausen – über zusätzliche Raumpotentiale im Umfang von rund 200-300 Hektaren verfügt, ebenfalls nur 10 Minuten mit dem Zug entfernt liegt, aber als Hauptstadt des Baselbiets eine eigene Betrachtung geniessen muss.

Zum Sound des Dorfbachs ein Beispiel, das zeigt, warum aus dieser Perspektive wichtige Fragen anders beantwortet werden könnten: «Wieviel Entwicklung in die Höhe mit Hochhäusern braucht Verdichtung nach innen, wenn man den Stadtraum im Perimeter der funktionalen Stadt statt in Kantonsgrenzen denkt?» Um die rhetorische Frage noch zuzuspitzen, folgt der Hinweis, dass im Baselbiet in den Gebieten mit der besten ÖV-Erschließung die Bebauung noch immer zur Hälfte zweigeschossig sei und mit einer moderaten Entwicklung ein zusätzliches Potential von 15'000 zusätzlichen Einwohnern vorhanden ist. Ein ähnliches Potential weist der bauliche Bestand in Basel-Stadt aus; mit einer besseren Nutzung der Dachgeschosse und situativen Aufzonungen, sind Raumpotentiale für 15’000-20'000 zusätzliche Einwohner vorhanden… «Zusammen betrachtet steckt in einer besseren Nutzung des baulichen Bestandes der Raumbedarf in der funktionalen Stadt für die nächsten 10-20 Jahre!» Nein, das sei keine Kritik. «Bei mir war das wirklich ein Lernprozess». Den möchte er in eine verstärkt gemeinsame Planung einbringen: «Die letzten zwanzig Jahre waren geprägt durch die `Renaissance der Stadt`, nun sind wir mitten in der `Renaissance der Agglomeration` und wir brauchen dringend Zukunftsbilder und Leitlinien für die kommenden 20, 30 Jahre.» Auf Klartext folgt Einordnung: Natürlich habe es den Blick auf die Agglo auch in der städtischen Planung gegeben. Zunehmend. «Interessanterweise ist diese Öffnung des Blicks auf den Aggloraum zunächst eher Richtung Dreiland gegangen.» Die Planungsvereinbarung von 2012 mit den deutschen und französischen Nachbargemeinden habe da einen wichtigen Impuls gegeben. Und das Agglomerationsprogramm mit seiner Geschäftsstelle spiele selbstverständlich eine Rolle, eine wichtige sogar... Doch davon später.

Niederschwellige Planung

Zwischen Fußballfeldern sind wir am Hegenheimermattweg angelangt. Vom Big Picture geht’s nun in den Beispielfall. Waltert rekapituliert die Entwicklung hier zu einem modernen Life-Science-Zentrum im Zeitraffer-Tempo. Das passt, denn es ging schnell. «Das Gelände gehört dem Bürgerspital Basel. Schrebergärten und verstreutes Gewerbe prägten es bis über die Jahrtausendwende. Eine Tennis-Halle kam dazu und am Rand vis-à-vis der Badi stand das grosse Hobby-Centre der Coop.» Waltert dreht sich und zeigt auf den Bau der Firma Actelion: «Und damit begann die heutige Entwicklung.» Leicht erkennbar der Firmensitz des Unternehmens, das dank einem Medikament gegen Bluthochdruck boomte. Herzog & de Meuron entwarfen den Sitz als Gefüge von wie zufällig ineinander geschachtelten Bürobalken. Ein deutlicheres architektonisches Zeichen, dass die Schrebergartenzeit vorbei war, ist schwer vorstellbar. Nicht nur wegen Actelion. Die Wirtschaft der Regio boomte. «Und hier war Raum für Entwicklung schnell verfügbar.» Die Besitzer vom Bürgerspital kamen deshalb zum Schluss, dass das nicht gut kommt, wenn man hier nicht Regeln für die Entwicklung aufstellt. «Und darum haben sie einen Masterplan gemacht für das Gebiet von der Badi bis genau hier.»

Genau hier heisst: Wir sind beim neuen Tropeninstitut angelangt. Das hiess schon Swiss TPH, bevor es hierher kam. Waltert findet den neuen Bau grossartig und wird gleich zeigen warum. Doch vorher will er noch zwei Bemerkungen zum Masterplan loswerden: «Der ist sehr simpel gehalten. Fünf klare Regeln. Fertig: Parkierung zentral regeln. Gemeinsames Energiekonzept. Dann: Auch Gewerbeareal braucht Freiraum, der die Bauten verbindet. Weiter die Stellung der Gebäude und schliesslich der Straßenraum.» Diese Einfachheit sei wichtig, denn «das alles funktioniert in der Regelbauweise, das heisst ohne Sondernutzungsplanung, also ohne Bebauungs- oder Quartierpläne. Ein Effekt davon ist, dass Standortentscheide und Bauprojekte unmittelbar folgen können.» Er beobachte die Tendenz, dass immer mehr per Sondernutzungsplanung gemacht werde. «Paradoxerweise ist das fast die Regel geworden. Doch die Regel sollte die Regelbauweise sein, oder nicht?» Er lacht. Wie oft. Hier über das Wortspiel in der rhetorischen Frage. Jedenfalls sei das Pragmatische in der Planung ein wesentlicher Faktor, der die Entwicklung und ihr Tempo hier unterstützt.

Tropeninsitut: Geglückte Verpflanzung aus der Stadt

So, nun geht’s quer über die Strasse zum neuen Tropeninstitut, direkt zu Walterts erstem Beispiel, dass auch niederschwellige Planung hervorragende Qualität ermöglichen kann. Darum geht es ihm. «Das war eine sehr anspruchsvolle Aufgabe: die alte Institution aus der traditionellen Umgebung der Socinstrasse musste in diese neue Welt verpflanzt werden.» Der Weg zum Eingang führt an der langen Reihe der auf Kies stehenden Veloständer vorbei, durch die Vorzone durch, in der ein Grün wuchert, dem eine rasenmäherfreie Zukunft bevorsteht. Waltert atmet die Umgebung ein und mit diesem Satz wieder aus: «Es geht hier offensichtlich nicht nur um das Gebäude, sondern auch um den öffentlichen Raum. Nachhaltigkeit und Biodiversität sind dabei ernsthafte Themen.» Drinnen dann streift Walterts Blick mit grossen Augen durch den hellen Raum: «Wenn man hier reinkommt, wird man durch eine zeitlose, unaufdringliche Noblesse empfangen und denkt ‚Wow‘, was für ein Foyer mit diesen skulpturalen Betonelementen und dem warmen Holz und hat Lust, das Gebäude zu erkunden.» Weiter dann noch allerlei zur Funktion des Foyers als Verteilzentrum in diesem Labor-, Forschungs- und Bürogebäude. Schliesslich Bilanz: «Architektonisch wirklich hoher Anspruch auch innen. Erstklassige Arbeit von Kunz und Mösch.» So heissen die Architekten, die den Architektur-Wettbewerb gewannen.

Durchs Foyer durch gehts auf das Baufeld nebenan. Da wird gebaggert. Das passt zu einem Wort zu den Investoren hier. Das Bürgerspital Basel verkaufe nichts, sondern vergebe Baufelder im Baurecht, erklärt Waltert. «Damit ist sichergestellt, dass die Investoren langfristig involviert bleiben und entsprechend auch so denken.» Der St. Galler Immobilien-Entwickler Senn IFA AG mache das besonders ausgeprägt. Für Waltert ist es darum ein Glücksfall, dass Senn hier gross eingestiegen ist: Sie entwickeln 11 der 14 Baufelder. «Ein wichtiges Element ihres Engagements ist die Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron, die auf langjähriger gemeinsamen Erfahrungen fusst.» Er zeigt das Gebäude gegenüber, den Campus des Basler Standorts des Schweizerischen Innovationsparks, der hier entstanden ist. «Das ist das bis dato grösste Projekt von Senn mit Herzog & de Meuron hier.» Ein Fünfstöcker von bemerkenswerter Breite. Betonskelett, Balkone und Fenster über die ganze Stockwerkhöhe. Die grosszügige Öffnung des Eingangsbereichs erlaubt – selbst aus der Distanz – einen guten Durchblick auf den bewaldeten fussballfeldgrossen Innenhof, gewissermassen das Herzstück des Baus. «So sieht also ein Stück des im Masterplan vorgeschriebenen zusammenhängenden Freiraums nun aus: Ist doch nicht schlecht?», sagt Waltert, wieder lachend, diesmal über das Understatement der rhetorischen Frage. Rund um das Wäldchen im Hof sind modernste Arbeitsplätze für 2000 Leute im Life-Science-Bereich entstanden. Startups, arrivierte Unternehmen und auch die Uni sei eingemietet. Mit dem Swiss Innovationspark sind auch die Kantone beteiligt. Der Innovationspark geht auf eine Bundesinitiative zurück. Die Standortsuche entschieden hat die Verfügbarkeit des Bodens und brachte die Institution an dieses Plätzchen der funktionalen Stadt, erklärt er. ‘Funktionale Stadt’ nun ohne Crescendo, einfach als kleine Erinnerung an das Big Picture. Auch hier, wie regelmässig auf dem Spaziergang.

Dann geht Waltert zu den Baggern weiter. «Hier entsteht das ambitionierteste Projekt von Senn mit Herzog & de Meuron.» Der Aushub läuft. «Hortus» heißt es. «In diesem Bau wird die Zukunft des Bauens erforscht. Schritt für Schritt der Frage nach: Wie bauen wir etwas, das innerhalb von einer Generation tatsächlich Netto Null erreicht?» Tatsächlich, das nun ist wieder eines der sorgfältig betonten Worte Walterts, denn für ihn zählt der Begriff nur, wenn Netto Null auch die indirekten Emissionen umfasst, das heisst, «dass seine Erstellungsenergie in weniger als 30 Jahren gewissermassen zurückbezahlt wird.» Das sei ehrlich, andere Definitionen seien Nullnummern. Zum Grün-Ärgern. Oder vielleicht eben nicht grün. Das Projekt hier jedenfalls versuche, den Energiebedarf durch den Einsatz von ungewöhnlichen Materialien schon beim Bau klein zu halten. Und im Betrieb würden dann die nachhaltigen Energieformen maximal gepusht. Kurzum: «Das ist ein Symbolprojekt für da, wo wir hin wollen, hin müssen.»

Neuer Fokus im Aggloprogramm

Zurück an den Hegenheimermattweg, zur Zufahrtstrasse zum neuen Boomareal. «Man geht davon aus, dass die Zahl der Arbeitsplätze in den nächsten Jahren um ca. 6000 auf rund 10'000 steigen wird.» Aufgegleist sei, dass die Infrastruktur leistungsfähiger werden muss. Mit einem Autotunnel zur Nordtangente bei der Flughafenstrasse. Mit einer neuen Tramverbindung zum Bahnhof St. Johann. Ein Radweg zum Bahnhof SBB gehöre ebenso dazu, wie auch eine neue S-Bahn-Station ‘Basel-Allschwil’ beim Morgartenring und auch eine neue Strasse von Frankreich her, welche die Dörfer von Hésingue, Hégenheim und Saint-Louis entlastet. «Da ist natürlich extrem viel zu koordinieren», sagt Waltert. Die Entwurfsarbeiten machen die Tiefbau- und Planungsämter, eine zunehmend wichtige Rolle spielt dabei die am Dorfbach erwähnte Geschäftsstelle ‘Agglomerationsprogramm Basel’. «Ihre Aufgabe ist das Zusammendenken der Infrastruktur-, abgestimmt auf die Siedlungs- und Landschafts-Potentiale der Agglomeration.» Das sei hochkomplex, funktioniere aber vorbildlich durch die Geschäftsstelle und eine trinationale Projektsteuerung. Doch zugleich seien die Abläufe geprägt von einem jungen Gefüge aus viel föderalistischer Geschichte auf Schweizer Seite und noch sehr frischen Beziehungen ins Dreiland. Darum, findet Waltert, sei es nun Zeit, einen Entwicklungsschritt zu machen. «Das Aggloprogramm entstand im Blick auf den ganzen grossen, trinationalen Raum, der über 175 Gemeinden in drei Ländern und vier Kantone von Reigoldswil bis zum Hinteren Wiesental umfasst. Da wurden Zukunftsbilder gemacht fürs Leimental, fürs Birstal, für das Kandertal, für das Laufental, den Hochrhein, aber bis dato nie für die funktionale Stadt.» Nun sei man dabei, einen neuen Fokus auf die Stadt und ein Dutzend Gemeinden um sie herum zu entwickeln. «Das ist für mich ein zentraler Punkt für die Planung mit Blick auf 2050: Diesen Fokus zu forcieren, damit sachlich gute Lösungen entstehen können und damit selbstverständlich wird, dass zu den neuen Subzentren Basels nicht nur die städtischen Quartiere, sondern diejenigen des ganzen funktionalen, trinationalen Stadtraumes dazugehören. Das Bachgraben zum Beispiel.»

Wir sind schon unterwegs zum Parc des Carrières, direkt nebenan, an der Grenze zu Frankreich. Doch da, auf dem Hegenheimermattweg, kann sich Waltert eine weitere rhetorische Frage nicht verkneifen: «Sehen Sie Stau?» Natürlich gibt’s keinen. Es ist auch Ferien und Morgen. Stau prägt - wenn schon - auch hier in andern Momenten des Laufs der Zeit das Bild. Das weiss Waltert. Aber so zwischen dem Hortus-Akzent und dem Parc des Carrières, dem entstehenden Landschaftspark stellt Waltert  die rhetorische Frage, ob zwischen diesen Leuchttürmen der Nachhaltigkeit der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur  wirklich die einzig sinnvolle Alternative sei?, Diese Frage wurde auch vom Bundesamt für Raumentwicklung gestellt und hat die Projektverantwortlichen beauftragt, die vorgesehenen Massnahmen noch besser aufeinander abzustimmen und zu begründen. Waltert ist von den vorgesehenen Massnahmen überzeugt: «Wir haben das Gesamtmobilitätssystem im Auge; Verbesserungen sollen für jeden Verkehrsträger erfolgen, mit zwei Hauptzielen. Erstens den motorisierten Individualverkehr möglichst direkt auf das übergeordnete Verkehrsnetz bringen und so die Wohnquartiere entlasten. Das leisten der ‘Zubringer Bachgraben’ und das ‘Contournement de Hésingue-Hégenheim’. Zweitens die nachhaltige Mobilität fördern. Dafür stehen die Tramlinie, die Velovorzugsrouten und der Ausbau der S-Bahnhaltestelle Basel-Allschwil beim Morgartenring. Wie hatte er am Dorfbach gesagt? «Der Anreiz muss sein, eine möglichst gute Planung zu machen, so dass wir die bestehende Infrastruktur so gut wie möglich ergänzen und nutzen können.» In diesem Sinne ist die vom Bundesamt für Raumentwicklung verordnete Nachbesserung eine willkommene Chance, um die Infrastrukturmassnahmen noch besser auf die Bedürfnisse der Arbeitgeber und die umliegende Wohnbevölkerung abzustimmen. Die dafür notwendigen Prozesse sind am Laufen, zusammen mit dem Kanton Basel-Stadt, der Gemeinde Allschwil, den französischen Gebietskörperschaften und mit Einbezug der relevanten Bundesämtern.

Identifikationsfaktor Landschaftsraum

Wir sind am Eingang des Parc de Carrières angekommen. Da wollte Waltert hin. Er schaut hinaus in den Raum um die abgebauten Kiesflächen. «Das ist wirklich Landschaft. Das ist einfach eine unglaubliche Qualität, diese grünen Finger um Basel.» Besonders die grössten, die Langen Erlen, das Bruderholz und der Parc des Carrières hätten je die Qualität eines Central Parks für die angrenzenden Gemeinden. «Wir haben eine sensationelle Ausgangslage, wenn wir diese funktionale Stadt nicht nur als Entwicklungsareale verstehen, sondern als Landschaftsräume und öffentliche Räume und uns fragen: Was macht uns eigentlich aus, was verbindet die Menschen in der trinationalen Stadt-Landschaft?» Identität habe viele Quellen, sagt er, etwa das Kunstmuseum sei sicher ein Identifikationsfaktor, das Münster, Beyeler auch… «Doch diese grenzüberschreitenden Landschaftsräume sind mehr, sie können das gesellschaftliche Bindeglied in dieser komplexen, trinationalen Grenzlage werden.» Nichts weniger. «Darum müssen wir diese Landschaften pflegen und ihnen die Aufmerksamkeit geben, die sie verdienen.» Fürs Foto stellt sich Waltert vor das hohe, rostige Eingangsschild zum Park, steckt die Hände tief in die Hosentaschen. Nun redet die Körpersprache Klartext: Das ist die Scholle, von der aus Raumplaner Waltert denkt und wirkt.

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Interview

«Hey, lasst uns  ein städtebauliches Leitbild zur trinationalen, funktionalen Stadt Basel entwerfen»


Die Stadt Basel veranstaltet Dialogtage über Stadtentwicklung. Warum braucht es sie?

Weil Dialog uns weiterbringt. Das ist elementar. Ich glaube, wir brauchen gerade in der jetzigen Zeit ein neues Verständnis von Stadtentwicklung. Wir müssen ganz viele Themen sortieren und auch neue Wege gehen. Das geht nur mit Dialog.

Wie unterscheidet sich diese Veranstaltung von klassischen Partizipationsverfahren Ihrer Meinung nach?

Es ist mehr top down und gleichzeitig aber viel offener. Das Thema ist mit «Basel 2050» gesetzt. Bis dato war es ein Thema der «Stadtplanungs-Bubble», nun folgt die Einladung zum Mitdenken. In klassischen Partizipationsverfahren ist das Thema und der Einflussbereich aber eng gesetzt und richtet sich eigentlich an klar definierte Kreise. Jetzt wird das Feld über einen ganz großen Gedankenraum geöffnet.

Was im Programm finden Sie besonders spannend?

Basel 2050 größer denken, nämlich so, wie Basel funktional ist, das ist für mich das entscheidende Thema. Und dann gibt es viele spannende Fragestellungen, die in diese Richtung gehen. Nämlich etwa: Wie funktioniert die polyzentrische Stadt-Landschaft in Zukunft? Wie gehen wir mit dem Bestand um und wie gewichten wir den öffentlichen Raum? Also, es gibt so viele Themen, wo Basel an die Grenzen stösst, und dann wird’s spannend.

Welche Rolle spielen Sie selbst bei diesen Tagen?

Die Initiative für den ‘Basel 2050-Prozesses’ ging von Kantonsbaumeister Beat Aeberhard und Walter Reinhard aus. In meiner früheren Funktion als Gesamtprojektleiter Stadtentwicklung Basel-Nord konnte ich von Beginn an mitwirken. Mit der Weiterentwicklung und Öffnung des Dialogprozesses kamen zusätzliche Akteure dazu, Berufsverbände, die Hochschule FHNW, VertreterInnen des Jungen Rats und mit Judith Kessler und mir auch zwei Exponenten des Nachbarkantons. Diese ‘Aussensicht’ scheint mir entscheidet – die Herausforderungen von ‘Basel 2050’ sind meines Erachtens nur in der Abstimmung mit dem trinationalen Metropolitanraum erfass- und lösbar.
Unsere gemeinsame Geschäftsstelle ‘Agglomeration Basel’, mit dem Geschäftsführer Patrick Leypoldt und Jessica Fässler, sind ebenfalls in den ‘Basel 2050-Prozess’ involviert und werden bei den weiteren trinationalen Prozessen eine wichtige Rolle spielen.

Was muss bei diesen Tagen passieren, damit sie verwertbare Ergebnisse bringt?

Wir erreichen schon ganz viel, wenn wir ein gemeinsames Verständnis von den großen Herausforderungen der nächsten 20, 30 Jahren schaffen und erste Punkte definieren, wie wir diese angehen wollen. Zum Beispiel, wenn es uns gelingt den Dialog-Prozess in konkrete Planungsprozesse überzuführen und zum gemeinsamen Schluss kommen würden: Hey, wir haben über Verkehrsinfrastruktur, Wirtschaftsflächen, Transformationsareale, die Bestandespotentiale und Landschaftsprojekte gesprochen und dann sagen: Nun machen wir als nächsten Schritt zusammen ein gemeinsames städtebauliches Leitbild über die trinationale, funktionale Stadt. Konsequent sollten wir dabei vom Bestand ausgehen und u.a. Ansätze finden, wie wir die Regelbauweise stärken, so dass wir wieder mehr nach der Regelbauweise und ausgehend vom Bestand bauen können und die Sondernutzungsplanung wirklich für das vorsehen, wo wir Sondernutzungen machen wollen?

Was erwarten Sie persönlich von den Tagen?

Dass wir nicht nur diskutieren und Dialoge führen, sondern dass wir vom ersten Dialog an immer direkt fragen, was lernen wir daraus? Was können wir festhalten? Woran arbeiten wir im Hintergrund? Und vorallem auch: Wie gehen wir in die Umsetzung? Wie kommen wir ins Machen? Ich wünsche mir eine Umsetzungsagenda!

Und ist das ein Anlass für die Öffentlichkeit?

Unbedingt. Wir brauchen die ‘Experten des Alltags’. Und wenn man es schafft, mit einem Thema nicht in die Falle von «not in my backyard» zu treten, dann ist der Austausch über Städtebau mit der Öffentlichkeit sehr wertvoll. Es ergibt sich daraus ein wertvolles Stimmungsbild, zuweilen als Barometer aber auch als Korrektiv. Die Öffentlichkeit verfügt über ein unglaublich sensibles Sensorium. Da müssen wir auch dazulernen. Verlorene Abstimmungen über Themen, die von den Experten und Behörden einhellig als gut befunden wurden, zeugen davon.

Bei den Dialogtagen sind die politischen Chefs von drei Basler Departementen involviert, aber niemand von der Regierung Baselland. Stört Sie das?

Ich finde es einerseits eine verpasste Chance. Andererseits: Wo fängt man an und wo hört man auf? Wenn man die Regierung Baselland involviert, müsste man dann auch Lörrach, Weil am Rhein und die Kollegen aus Frankreich involvieren? In meinem Verständnis eigentlich ja, wenn wir über Basel 2050 und dabei über die trinationale, funktionale Stadt reden. Aber das Positive ist doch, dass dieser Dialog begonnen wird. Das könnte ja eine der wichtigen Erkenntnisse aus diesen Dialogen werden: Dass wir den nächsten Dialog trinational führen müssen und wollen, sowohl auf der gesellschaftlichen, wie auf der politischen Ebene.

Im Programm ist viel von Baukultur die Rede. Was heisst Baukultur für Sie?

Baukultur betrifft jede Facette unseres Lebensraums. Nicht nur das einzelne Gebäude und die gebaute Umwelt, sondern auch der Freiraum, insbesondere die Landschaft und  auch der gesellschaftliche Diskurs gehört für mich zur Baukultur unbedingt dazu.

Ein weiteres Schlagwort im Programm heißt Wunsch-Stadt. Können Sie etwas anfangen mit dem Begriff? Und was heißt das für sie?

Im Grossen wünsche ich mir, dass wir zukünftig den Metropolitanraum, die trinationale Stadt Basel meinen, wenn wir von unserer Stadt reden Zugleich ist die funktionale Stadt im positiven Sinne ein unglaublich fragmentierter, heterogener Raum, der von ganz vielen Quartieren, Gemeinden und Orten geprägt ist. Im Kleinen sind das die Bezugsorte für die Menschen, die da leben, dass ist Ihr Zuhause, ihre Heimat. Die eigene Scholle hat eine unglaublich grosse Bedeutung. Darum würde ich auf dieser Ebene lieber von Wunschstädten und Wunschquartieren im Plural reden, und mir wünschen, dass die Entwicklungsprozesse diese unterschiedlichen Identitäten wahrnehmen und weiterentwickeln und durch die Sensibilität für die Landschaft und die öffentlichen Räume zusätzliche Identitäten gewinnen.